Der Puls der alten Fabrik
ALTE FABRIK
Endlich kann sie es ungestört singen – ihr gewaltiges Lied. Mein Ohr dröhnt von seine mächtigen Stille. Im gelben Abendlicht des Spätsommers ragt sie vor mir auf, die ganze Fabrik – ein einziger, beleuchteter Klangkörper.
Früher toste ein Lied in ihr, das ihre Mauern halten mussten, stabil und
stark. Das sie aushalten musste, Jahrzehnte, ein Jahrhundert lang. Jetzt klingt etwas Anderes durch ihre brüchig gewordene Hülle.
Es sickert durch alle vernagelten Fenster und rieselt durch alle zugemauerten Türen. Das lautlose Lied ist hörbar - Ich höre es genauso wie alle Tauben, die sie in geheimer Choreografie umfliegen, die lauschend als Zuhörer auf ihrem Dachfirst und ihren Fenstersimsen Platz nehmen.
Das ganze Gebäude singt nun in seiner eigenen Tonart und
schwingt im eigenen Takt. Die Tauben tanzen und wirbeln oder ruhen und hören.
Sie hören – wie ich – den neuen Hymnus der alten
Fabrik,
der die Schwerkraft besingt wie einen
Gott.
(c) Julia Kraushaar
Verborgene Orte
Einsames Paradies
Inneres Geädere